Post
by Boro Pi » Fri, 15. Aug 08, 22:12
EDIT: Korrigiert und überarbeitet
Kapitel 2 - Hrogs Hochmut
Alles Gold und ein Herz ohne Ehre
sind zusammen so wertlos wie das Herz.
GHUS T’GLLT,
„Er sollte wissen“
FAMILIE RYK : HROGS HOCHMUT : 562ZT
Individualität besaß unter den Teladi keinen besonders hohen Stellenwert. Kitamendis stolperte durch die Dunkelheit. Als die Treppe urplötzlich aufhörte, verlor sie das Gleichgewicht und stürzte. „Eiersalat!“ Sie rieb sich fluchend die Schnauze und richtete sich wieder auf. Alle Handelsstationen ihres Volkes verfügten über exakt denselben Grundriss, der einen effizienten und zügigen Warenumschlag gewährleistete und die Baukosten für das Unternehmen gering hielt. Unruhig tastete sie die Wände ab. Schwaches Licht des Zwergsternes Thra-Zalim zwängte sich zwei Etagen höher durch einen schmalen Fensterschlitz. Dieser war eine Reminiszenz an die Schießscharten längst vergessener Zeitalter. Unten am Treppenansatz war von dem Licht jedoch nur so viel übrig, dass die Teladi gerade so etwas wie die Ahnung ihrer eigenen Kralle wahrnehmen konnte. Letztlich waren die Raumstationen der Teladi wie ihre Erbauer, unauffällig, nüchtern, langweilig und effizient, und immer gleich, der Klon eines Klons eines Klons. Kitamendis ertastete ein Schott und erwartungsgemäß links davon einen Hebel, um es manuell zu öffnen. Leider, so musste sie wieder einmal feststellen, bestand das Universum nicht allein aus Teladi. Sie brauchte die Kraft beider Arme, um den Hebel zu bewegen. Sie fragte sich, ob sie jemals aus dieser profitverlassenen Splitstation herausfinden würde.
Der Raum, den sie nun betrat, war kubisch, seine Ausmaße – wie alles an Bord – gigantomanisch. Etwa zwanzig Meter breit, lang und hoch. In jede der vier Wände war ein rundes Schott aus vulkanischem Gestein eingelassen. Die einzige arbeitende Lichtquelle war ein matter Scheinwerfer, der eine Projektilwaffe anstrahlte, welche auf halber Raumhöhe von einem Haken herabbaumelte. Es gab weitere Haken und Halterungen links und rechts davon, weiter oben und unten. Der ganze Raum war mit ihnen übersäht. Kitamendis hatte auf ihrer Odyssee durch den Handelshafen andere Räume dieser Art gesehen, allesamt leer. Erst die einsame Waffe hier offenbarte ihr den Sinn der Hallen. Es waren Schatzkammern für Beutestücke. Als Hrog t’Nllt die Station als das Symbol seiner Macht entworfen hatte, hatte er reichlich Platz für die späteren Triumphe seines ruhmreichen Kriegerlebens eingeplant. Nur war Hrog kein Krieger und auch nicht ruhmreich, vor allen Dingen aber war er nicht mehr am Leben.
Ihr Blick blieb einige Sezuras an dem kleinen Lichthof, der das Gewehr umgab, haften. Licht. Die Dunkelheit war das Schlimmste, schlimmer als die Stille und die Leere.
„Die Station ist noch im Aufbau, einige Bordsysteme sind noch nicht angeschlossen. Die Kreatur hat sich also nicht zu wundern, wenn vielleicht irgendwo eine Lampe nicht funktioniert.“, hatte sich der Arsenalkrieger ihr gegenüber entschuldigt, als er sich nach Durchsicht der Frachtpapiere von ihr verabschiedet hatte. Offenbar hatte er nicht daran gezweifelt, dass die Teladi zu den Andockschleusen zurückfinden würde. Kitamendis hatte schließlich selbst auch nicht daran gezweifelt.
Der Krieger hatte sie von der Schleuse aus in sein Büro geleitet, welches sich in überraschender Entfernung zu den Frachträumen befand. Sie hatten einen Lift genommen. Doch als sie sich alleine auf den Rückweg gemacht hatte, hatte der Lift nicht auf ihre Befehle reagiert. Neben dem Lift entdeckte sie den Zugang zu einer Stiege. Und diese hatte sie in ein chaotisches Labyrinth aus langen Gängen, großen Hallen und abrupt endenden Treppen entführt. Einige Bordsysteme sind noch nicht angeschlossen. Nirgends hatte sie Zugriff auf das stationsinterne Kommunikationssystem oder den Bordcomputer bekommen können. Wann und wo die Beleuchtung funktionierte, schien völlig willkürlich zu sein. Alle Decks, die sie bislang aufgesucht hatte, waren verlassen. Dennoch musste sie sich im Groben auf dem richtigen Weg befinden. Die Andockschleusen für die Frachter befanden sich auf den untersten Ebenen des Handelshafens. Also nach unten.
Kitamendis untersuchte die anderen drei Schotts der trostlosen Schatzkammer. Eines verbarg den Zugang zu einem Lift, der – sie wunderte sich nicht – nicht reagierte, das zweite führte zu einer weiteren Treppe. Das dritte fuhr automatisch auf, als sie sich ihm näherte und offenbarte einen hell erleuchteten Raum. Die Teladi blinzelte der plötzlichen Helligkeit entgegen und wich erschreckt einen Schritt zurück. Dass sie auf einmal auf einen funktionierenden Teil der Station gestoßen war, kam so überraschend, dass sie instinktiv den Drang zur Flucht verspürte. Doch sie kämpfte das Gefühl nieder und trat durch das Schott.
Der Raum unterschied sich von den anderen, die sie bisher passiert hatte. Er war schmal und lang und erinnerte Kitamendis an teladianische Konferenzräume. Doch anstelle eines langen Konferenztisches reihten sich viele kleinere Tische und Stühle, wie so viele Gebrauchsgegenstände der Split aus Stein gefertigt, entlang einer Fensterfront, die eine komplette Längsseite ausfüllte. Von der anderen Längsseite, in deren Mitte sich das Zugangsschott befand, standen dreistöckige Metallbetten ab, dazwischen lehnten sich Spinde an die Wand. Auf einigen Betten lagen unordentliche Knäuel grauer Slotrakhfelle. Leere Verpackungen bedeckten eine Handvoll der Tische. Ein Mannschaftsquartier; und es wurde benutzt. Kitamendis war erleichtert. Sie kam sich vor, als sei sie von einer langen Reise durch unerforschte Sektoren ins Gebiet der Gemeinschaft der Planeten zurückgekehrt. „Computer?“, fragte sie hoffnungsvoll.
„Ghav ch’t t’nilgh Splitu!“, antwortete eine künstliche Stimme, die es erstaunlicherweise schaffte noch bedrohlicher zu klingen als ein richtiger Split. Ein Stationscomputer, der die argonische Handelssprache nicht beherrschte? Kitamendis wunderte sich, hatte aber nicht vor sich dadurch entmutigen zu lassen, denn sie war auf den richtigen Weg. Sie fühlte es. „Sseh tikrassh, ussh messhnokgassh.“ Vielen Dank für Ihre Hilfe, murmelte die Teladi in ihrer Muttersprache. Ihre Schuppenfinne richtete sie auf, was ihre Erheiterung über diesen kleinen Scherz anzeigte.
Kitamendis trat an das Fenster und blickte hinaus. Drei oder vier Decks unter ihr befanden sich die Andockschleusen, sie hatte es fast geschafft. Ein teladianischer Frachter löste sich gerade von den Andockklammern der Station. Manövrierdüsen schoben das Schiff langsam zurück, während an seinem Heck ein blauer Lichtschimmer auf das Warmlaufen des Ionentriebwerks hinwies.
Der Anblick beruhigte Kitamendis. Frachter kamen und gingen, der Alltag einer Handelsstation, die vertraute Welt der Teladi. Das Schiff begann nun in sicherer Entfernung zur Station zu wenden und entblößte seine Seite, die von harmlosen Schrammen und Beulen übersäht waren, welche Mikroasteroiden und Weltraumschrott über viele Jazuras hinweg hinterlassen hatten. Kitamendis presste ihren Kopf gegen die Scheibe und starrte auf die Muster der Kratzspuren. Das war ihr Schiff!
Aus der Richtung eines Seiteneingangs hörte sie plötzlich Stimmen. Jemand schien sich zu streiten.
Naj t’Srrt war – wie nahezu immer – unsagbar schlecht gelaunt. Seit Mazuras versauerte er nun in diesem nutzlosen Blechhaufen, welcher der Familie Ryk als Handelshafen diente. Laut Ryk war Hrogs Hochmut die größte Raumstation im Großpatriarchat der Split. Und angesichts der Tatsache, dass es weder dem alten Schwächling Hrog, noch Ryk, der diesem Leben, Sektor und Leibeigene genommen hatte, jemals gelungen war auch nur die Hälfte der Station sinnvoll zu nutzen, war Naj geneigt, es zu glauben. So oder so interessierte es ihn nicht. Die militärische Bedeutung der Handelshäfen war gering. Nicht zum ersten Mal fragte sich der Oberste Krieger daher, warum sein Volk sie überhaupt errichtete.
Er stand auf einer erhöhten Plattform und schaute in die Halle hinab, die groß genug gewesen wäre, eine Fregatte darin unterzubringen, und beobachtete wie die neuen Tanks angeschlossen wurden. Wie so oft, wenn er gleichzeitig gelangweilt und verärgert war, summte er das Heldenlied Cho t’Nnts mit absichtlich falschen Tönen. Demonstrativ hielt er Abstand zum Geländer, er wollte sich nicht daran anlehnen, sich nicht darauf stützen. Geländer galten ihm als verweichlichend, sie passten zu den Menschen und Teladi, nicht aber zu den Split. Denn nichts bedurfte der Krieger dringender als Aufmerksamkeit. Jemandem, der ein Geländer benötigte, um nicht hinunterzufallen, fehlte die nötige Aufmerksamkeit, um sich in einer Kampfsituation zu behaupten. Geländer und Krieger passten nicht zusammen.
Sie waren zu sechst. Rechts und links flankierten ihn Ryk t’Ghhn und Fogtor t’Bnnc, beide – Naj fühlte sich bestätigt – lässig über das Geländer gelehnt. Hinter ihnen standen die steinalte Züglerin Ryks und Uklin, Najs Tochter, die dieselbe Aufgabe für ihren Vater ausübte. Fogtor hatte keine Züglerin, der Agent erklärte, er könne seine Aggressionen selber kontrollieren. Etwas abseits stand Zhu t’Gffn und berichtete von den jüngsten Fortschritten der Experimente. Zhu war wahrscheinlich der seltsamste von ihnen allen, dachte der Oberste Krieger. Als Mitglied der Familie Thi als freier Leibeigener geboren, war er wie viele junge Männer seiner Generation freiwillig Wissenschaftler geworden. Als Naj in seinem Alter gewesen war, wäre derartiges noch undenkbar gewesen, Forschung war die Arbeit von Sklaven. Doch nach fast zwei Dekazuras der Herrschaft Rhonkars zeigten dessen Reformen erste Früchte. Naj hatte dem lange skeptisch gegenübergestanden, hatte aber einsehen müssen, dass die Weisheitskrieger, wie die jungen Forscher genannt wurden, besser arbeiteten als die alten Wissenschaftssklaven und die Raumkriegerschaft regelmäßig mit neuen Waffen erfreuten. Tatsächlich mochte Naj Zhu, hielt ihn aber nichtsdestotrotz für einen Schwächling und ließ sich niemals dazu verleiten, seiner Sympathie Ausdruck zu verschaffen. Und er hörte Zhu nicht zu. Der Weisheitskrieger berichtete in Variationen ohnehin jedes Mal dasselbe: Die Effizienz des Gasgemisches konnte weiter gesteigert, die Einsatzrisiken weiter gesenkt werden.
Er sah zu Fogtor hinüber, der seinen Blick zu spüren schien und sich ihm zuwandte. Ein spöttisches Funkeln blitzte in den Augen des Agenten auf, das zu sagen schien: ‚Ich weiß, dass Du nicht zuhörst, und selbst, wenn Du es tätest, nicht einmal die Hälfte verstehen würdest.’
Naj hasste ihn, Fogtor war arrogant und behandelte alle Angehörige der Raumkriegerschaft mit Herablassung. Dabei sah er selbst, zumindest nach Najs Meinung, völlig lächerlich aus. Ihm fehlte die bullige Gestalt eines Split, und seine Stirn setzte nicht mit V-förmigen, sondern geraden Brauen über seinen Augen an. Wären nicht seine zwölf Finger und die platte Nase gewesen, man hätte Fogtor für einen Menschen halten können. Und entsprechend schwach und weich schätzte Naj ihn ein. Sie starrten sich voll gegenseitiger Feindseligkeit an, Fogtors Mundwinkel schoben sich zu einem hämischen Grinsen hinab und Naj platzte der Kragen: „Hat er mir etwas zu sagen, Fogtor t’Bnnc?“, knurrte er.
„Herr?“, fragte Zhu, sichtlich verwirrt darüber abrupt in seinem Vortrag unterbrochen worden zu sein.
„Vater!“, mahnte Uklin mit ruhiger Stimme.
Doch Fogtor winkte ab: „Nein, Nein, Kind, ich wollte dem Obersten Krieger wirklich etwas sagen.“
Naj versteifte sich unbewusst in Kampfpose, er war auf alles vorbereitet. Seinem Gesicht war seine Überraschung nicht anzusehen. Immer noch grinsend, erklärte Fogtor: „Die Paranidkreaturen kommen.“
Naj formte mit der rechten Hand das Zeichen für Wertlose Kriegsbeute, um zum Ausdruck zu bringen, dies für eine uninteressante Nachricht zu halten. Was nicht stimmte, doch das brauchte Fogtor schließlich nicht zu wissen. Seine Linke wanderte derweil zu seinem Dolch hinab, für einen Augenblick erwog er, Fogtors dämliches Grinsen dem Agenten aus dem Gesicht zu schneiden, doch er fing einen ernsten Blick seiner Tochter auf und unterließ es.
„Sie wollen ihn sprechen, Naj t’Srrt.“, fuhr Fogtor fort.
„Warum?“ Najs Misstrauen war geweckt.
Fogtor spreizte die Finger beider Hände, um zu verdeutlichen, dass er es nicht wisse. „Sie werden erst danach entscheiden, ob sie uns helfen.“, fügte er mündlich hinzu.
Natürlich weiß er, warum sie es wollen, dachte Naj. „Wir brauchen die Dreiaugen nicht.“, beschied er.
„Wir sollten uns diese Möglichkeit offen …“, schaltete Ryk sich ein. Doch Naj ließ ihm mit finsterer Miene verstummen und erklärte energisch: „Ich will nicht mit den Kreaturen sprechen!“
Fogtor richtete sich auf. Ein fruchtloses Bemühen einen stattlichen Eindruck zu erwecken. Er grinste noch breiter, während er wütend zischte: „Der Patriarch will, dass er mit ihnen spricht! Werdet ihr also tun, was ich sage, Naj?“
Dieser stand regungslos da und dachte nach. Irgendwie hatte es Fogtor einmal wieder geschafft, ihn in eine auswegslose Position zu manövrieren. Er konnte sich nicht einer Weisung des Patriarchen verweigern, er würde Schande über sich und seine Familie bringen. Rhonkar mochte ihm den Befehl über den geplanten Feldzug entziehen oder gar schlimmer bestrafen. Anderseits wollte sich der Kriegsherr aber auf keinen Fall Fogtor vor den Augen Dritter unterordnen. Doch dazu gab es keine Alternative. Aber als Naj zu einer Antwort ansetzen wollte, geschah etwas Unerwartetes. Zunächst gewahrte er nur einen verblüfften Ausdruck in Zhus Zügen. Er folgte der Blickrichtung des Wissenschaftlers und war umgehend ebenso verwundert wie dieser. Eine Teladi war über einen der oberen Zugänge in die geheime Versuchshalle gelangt und watschelte nun auf der Plattform auf sie zu.
„Profit, Kollegen Split.“, grüßte sie. „Mein Name ist Hihundras Reguloas Kitamendis VII. Ich muss mein Schiff als gestohlen melden. Es, tssh?“ Die Echse war nun so nah an das Geländer herangetreten, dass sie die Halle überblicken konnte. Neugierig bückte sie sich vor. Rasch entdeckte Kitamendis die Sauerstofftanks, die sie selbst angeliefert hatte, daneben Tanks, die andere Gase enthielten, sowie einige umfunktionierte Komponenten herkömmlicher Lebenserhaltungssysteme. Doch die meisten Apparaturen und Geräte, die allesamt untereinander in einem Wirrwarr von Röhrchen, Schläuchen und Kabeln verbunden waren, entzogen sich ihrer Kenntnis.
„Was ist das denn?“, fragte sie unbekümmert.
Naj und Ryk hatten ihre Laserpistolen gezogen. Die Stirnschuppe der Teladi erbleichte augenblicklich: „Aber werte Split, ich … ich …“, stammelte sie.
„Wer hat die Kreatur geschickt?“, fragte Naj.
„Geschickt? Mich? Tssh, niemand, ich …“
Ryk feuerte. In wenigen Millisezuras verglühte Kitamendis zu einem hässlichen Klumpen, der hinab in die Halle fiel. Zhu sah besorgt hinterher, in Angst, empfindliche Geräte könnten getroffen worden sein. Naj fuhr erbost zu Ryk herum: „Warum hat er das getan, Ryk t’Ghnn?“
„Die Kreatur hat gelogen.“, erklärte dieser lapidar.
Naj entging nicht der Blick, den Ryk und Fogtor tauschten. Ryk wirkte nervös, der Agent zufrieden. Was ging hier vor? „Das Verhör war nicht beendet!“, protestierte der Oberste Krieger.
Ryk war es nicht gewohnt Widerworte zu erhalten und geriet nun selbst in Zorn: „Ich bin das Oberhaupt der Familie Ryk, er hat nicht in diesem Ton mit mir zu reden, Naj t’Srrt, Leibeigener Tharkas!“
„Leibeigene werden Oberhäupter, indem sie Oberhäupter töten.“ Najs Stimme war so kalt wie ein Wintermorgen auf Polaris XI. Beide erhoben ihre Waffen erneut, doch die Züglerinnen intervenierten sofort und verhinderten eine weitere Eskalation. Fogtor wirkte enttäuscht.
Naj schob seine Waffe zurück in den Halfter und schaute zu den Resten der Teladi hinab. Zhu war aller Aufregung zum Trotz hinunter gestiegen, um sicherzugehen, dass nichts beschädigt worden war. ‚Ich muss mein Schiff als gestohlen melden’, hatte die Echse gesagt. Eine schlechte Geschichte für einen Spion. Sollte sie tatsächlich nur zufällig über die Versuchsanlage gestolpert sein?
„Immerhin kann die Kreatur nun auch niemanden mehr erzählen, was sie uns geliefert hat.“, meinte Fogtor an seiner Seite. Naj musterte ihn. War es das? Hatte der Agent die Teladi gezielt in eine Situation gelockt, wo Ryk oder Naj sie töten mussten, nur damit auch nicht der kleinste Hinweis auf die Experimente nach draußen drang? Der Oberste Krieger nahm sich zum wiederholten Male vor, Fogtor t’Bnnc niemals den Rücken zuzuwenden und ihn bei der ersten Gelegenheit zu töten. Fogtor registrierte Najs hasserfüllten Blick und lächelte wissend.
Kapitel 3 - Im Namen der Bestien
Information ist die Grundlage allen Handelns.
Kenne Deine Verhandlungsposition, Deine Ware,
Dein Kapital und Deine Unkosten. Vor allem aber:
Kenne Deinen Kunden und alle seine Geheimnisse.
HURILIS HOHINDRAS HOKATIS III
CEO 474-506ZT
NIF-NAKH : 562ZT
„Tut es nicht, Herr, sie ist eine Dämonin.“
„Er schweigt, Thro! Auf der Stelle!“, zischte Rhonkar den Alten an. Mühsam unterdrückte er den Impuls, den Stein, den er wie alle Anwesenden in der rechten Hand trug, in Thros Richtung zu werfen. Er war froh, dass er und sein Zeuge gemäß dem Ritus abseits stehen mussten und niemand den greisen Krieger gehört hatte. Der Patriarch aller Split hätte eine solche Respektlosigkeit hart bestrafen müssen, wenn sie vor den Ohren anderer geäußert worden wäre. Auch so war es eine ungeheuerliche Anmaßung Thro t’Mggts, über welche Rhonkar nur deswegen hinwegsah, weil er den alten Kampfgefährten und ehemaligen Obersten Krieger seiner Familie nicht verlieren wollte. Sein Rat war ihm teuer, auch wenn der Greis in letzter Zeit der Welt um ihn herum und insbesondere der jungen Tchil immer häufiger mit unergründlichem Misstrauen begegnete.
Rhonkar senkte den Kopf und brachte Thro mit einem kurzen Stoß in die Rippen dazu, es ihm gleich zu tun. Andächtig lauschte er den Worten des Feuergeweihten. Er kannte die alte Litanei von den Kriegen der Vorzeit zur Genüge, doch wollte er sie so konzentriert in sich aufnehmen, als höre er sie heute zum ersten Male. Denn dieser Tazura war schließlich bedeutsam.
„Und als Zaghrok das zweite Licht zerschlagen hatte, griffen die Bestien des Himmels wieder zu ihren Waffen und die Flammen des Krieges überzogen erneut die Welt.“, rezitierte der Geweihte den uralten Text. Er hockte, eine Hand auf der Erde ruhend, in der Mitte des Palastvorplatzes auf einer Wiese roten Rhukgrases, während sich die wenigen Teilnehmer der Zeremonie in festgelegten Abständen um ihn herum gruppierten. „Sie fochten große Schlachten und schlugen der Welt tiefe Wunden. Das Schwert Gradonkhs fuhr hinab und riss die blutige Vrak aus dem Schoss der Mutter Hodie. Auch Thorgs Klinge schnitt ihr ins Fleisch und brachte die eiternden Kriv hervor. Meere von Blut füllten die klaffenden Wunden Hodies und bedeckten ihr Antlitz. Doch sie wich nicht, noch ließ sie nach in ihrer Kraft. Da floh Zaghrok der Feige, doch Gradonkh wich nicht und Thorg nicht, Lhutrak wich nicht und Krulkin nicht, nicht Hrun und nicht Razie und auch all die anderen Bestien des Todes und des Lebens nicht und die Kämpfe gingen weiter und wurden gewaltiger denn je.“
Plötzlich brüllte Rhonkar wie von Sinnen auf und alle Anwesenden fielen ein, um die kräftige Stimme des Geweihten zu übertönen. Denn nun erzählte der, wie Zaghrok die Bestien des Todes verriet, um den Blutschwur mit den Dämonen einzugehen. Diese ehrloseste aller Untaten durfte nicht vernommen werden, denn wem das Gift von Zaghroks Verrat ins Ohr geträufelt wurde, der wurde selbst zum Verräter an seiner Familie.
Schließlich gab der Feuergeweihte der Kultgemeinde vermittels des Handzeichens Vom Blut gesäubertes Schwert zu verstehen, dass die gefährliche Passage zu Ende gesprochen worden war. Die Split verstummten und der Priester fuhr fort: „Da sahen die Bestien, dass sie jeweils alleine den Dämonen nicht standhalten konnten. Und es trafen sich Vrak und Kriv, die Töchter Hodies zum ersten Male und die Schwestern sprachen über den Kampf der ruhmreichen Bestien. Da rief Kriv die Bestien des Krieges, des Feuers und des Ruhmes, die sich unter dem Banner des Todes gesammelt hatten, zu sich und zügelte sie. Und Vrak rief die Bestien der Geburt, des Blutes und der Jagd, die sich unter dem Banner des Lebens gesammelt hatten, zu sich und zügelte sie. Da nun sprachen die Bestien miteinander, und die Bestien des Todes erkannten, dass sie ohne die Bestien des Lebens nicht sein konnten, und die Bestien des Lebens erkannten, dass sie ohne die Bestien des Todes nicht sein konnten. So leisteten sie sich feierlich den Blutschwur, um fortan als Waffengefährten unter dem Banner des Himmels Seite an Seite zu kämpfen und die Welt vor den Heerscharen der Dämonen zu behaupten. Und so haben es die Bestien gefügt, dass jene, die Tod bringen, und jene, die Leben bringen, durch den Blutschwur vereint sein sollen.“
Nachdem er geendet hatte, schloss der Priester die Augen. Nun rezitierte er die heiligen Verse des Feuerkultes von Tonekhlan. Ehrfürchtig lauschte die Gemeinde dem alten Tonekhlu, einer Sprache die keiner von ihnen mehr beherrschte. Es waren nur kurze Verse, und auch nicht sonderlich viele, doch der Geweihte wiederholte sie beständig, in einem rätselhaften, unrhythmischen Singsang, der gespenstisch genau dem Wispern von Flammen glich. Während er sang, glitt ihm unvermittelt ein Ritualdolch aus dem weiten Ärmel in die Hand. Die feine Klinge war aus Silber und Nividium gearbeitet und mit Ghokfratzen verziert. Auch winzige Edelsteine waren eingearbeitet, die das bloße Auge kaum wahrnahm, den Dolch im Licht der Abendsonne jedoch hell aufblitzen ließen. Weiterhin in gehockter Haltung und mit verschlossenen Lidern, stieß der Priester den Dolch in die grasbewachsene Erde und drehte sich, einen Ring um sich herum ziehend, im Kreise. Dann verstummte er, öffnete die Augen, stand auf und vergewisserte sich, einen perfekten Kreis abgesteckt zu haben.
„Es ist gut!“ beschied er und kniete sich hin, um nun mit dem Dolch die Erde aus dem Ring herauszuschaufeln und eine kleine Mulde zu schaffen. Dies dauerte einige Zeit, doch niemand wagte zu sprechen. Nur die Klänge des nahen Urwaldes mischten sich in die leisen Grabgeräusche.
Schließlich war das Loch ausgehoben und die Erde daneben zu einen ordentlichen Kegel aufgeschichtet. Der Priester trat zurück, während alle Anwesenden näher kamen. Jeder hatte eine Stein in der rechten, kleinere Äste oder etwas Laub in der linken Hand. Mit den Steinen wurde der Rand der Mulde kreisförmig ausgelegt, die Äste und das Laub in der Mitte aufgehäuft. Dann griff sich ein jeder in sein Gewand und riss ein Stück davon herab, um es ebenfalls auf den Haufen zu werfen. Danach kehrten alle auf ihre Positionen zurück. Indes entfachte der Geweihte den Stoß mit zwei Feuersteinen und hielt den Dolch in die Flammen, bis er zu glühen begann. Den metallenen Knauf hielt er fest umschlossen, die Hitze schien seine Hand nicht anzugreifen.
Dann ergriff er einen großen Klumpen der frischen Erde und ging, den Dolch in der anderen Hand, auf die drei Frauen zu, die von Rhonkar und Thro aus gesehen in der gegenüber liegenden Ecken des Platzes warteten. Es handelte sich um eine junge Split, eine mittleren Alters und eine Greisin. Ein Zufall, doch der Priester hatte es vor Beginn der Zeremonie als günstiges Zeichen ausgelegt. Rhonkars Herz krampfte sich kurz zusammen. Könnte jetzt doch nur seine Tochter Hatrak hier sein.
Der Feuergeweihte baute sich vor der Frau mittleren Alters auf, die von den beiden anderen flankiert wurde. Sie trug eine weite ungegürtete Robe aus rotem Stoff. Die Farbe des Gewandes war dem des Grases so ähnlich, dass es wirkte als sei die Split eine dem Boden entwachsene Blume. Dennoch glich sie nicht mehr wirklich einer Blume. Man konnte zwar sehen, dass sie früher eine wahre Schönheit gewesen sein musste, doch ein anstrengendes Leben hatte seine Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen und sie vorzeitig altern lassen. Ihre langen weißen Haare, die dem Ritual gemäß in dreizehn Zöpfe geflochten waren, wiesen lange vor der Zeit erste Spuren von Schwarz auf.
„Tchil t’Snn, Tochter von …“, setzte der Priester an, um dann mit einem verwirrten Blinzeln abrupt abzubrechen. Erst jetzt ging im auf, dass ihm niemand die Abstammung der Braut erläutert hatte und augenblicklich wurde ihm bewusst, wie klein der Kreis der Anwesenden war und dass diese nur aus Mitgliedern der Familie Rhonkar bestand. „Zhalkri“, flüsterte die Rotgewandete.
Der Priester blickte sie einen Moment misstrauisch an, Zhalkri war einer der häufigsten Frauennamen bei den Split und entsprechend beliebt, wenn man seine Herkunft zu verschleiern gedachte. Etwas stimmte nicht. Der Patriarch aller Split war im Begriff eine Fremde, vielleicht sogar eine Ausgestoßene zu ehelichen. Sein Körper versteifte sich, er zögerte fort zufahren. Er suchte den Blick der Braut mit strenger Miene und versuchte so, ihr Geheimnis zu ergründen. Doch entgegen seinen Erwartungen hielt sie seinem Blick stand und in ihren Augen erkannte er ein loderndes Feuer von Stolz und Kraft, wie er es niemals zuvor gesehen hatte. Eine Kraft, die nur von den Bestien des Himmels kommen konnte. Es war ihr Wille, der sich hier vollführte. Er senkte das Haupt und murmelte: „Tochter von Zhalkri, bist Du bereit den Blutschwur zu leisten?“
Feierlich sprach sie die traditionelle Formel: „Ja, ich will das Blut geben, das mein Leben ist, für den, der mein Leben sein soll, um mit ihm eines Blutes zu werden.“
Ihr Gegenüber reichte ihr den Erdklumpen und sprach: „Tchil t’Snn, bewahre Du nun das Andenken an Hodie, die Mutter, Oberste Kriegerin des Lebens, die ihre Kinder unter Schmerzen und Qualen gebar.“ Tchil führte den Erdklumpen zu ihren Mund, biss hinein und schluckte einen Teil der fruchtbaren Erde hinunter. Am anderen Ende des Platzes zischte Thro etwas, Rhonkar brummte zurück. Nur wenige Anwesende wussten, dass Tchil keine Kinder mehr zur Welt bringen konnte.
Der Priester zog indes den rechten Arm der Frau zu sich heran und vollzog jeweils einen Schnitt in Ober- und Unterarm, dann drehte er die heiße Klinge und brannte mit der flachen Seite die frischen Wunden zu. Hässlicher Geruch verbrannten Fleisches stieg in die Luft. Dann ließ der Geweihte den Arm fahren, ging in die Knie und setze den blutenden Dolch zu zwei Schnitten im linken Bein an. Ein seltsam schabendes Geräusch erklang, und als er die Klinge wieder heranzog, stellte er verwundert fest, dass kein neues Blut hinzukommen war. Irritiert schob er den Dolch langsam ein weiteres Mal nach vorne, um den scheinbar missglückten Schnitt zu wiederholen, doch da spürte er Tchils Griff auf seiner Schulter und ließ sich von ihr widerstandslos aufrichten.
Er wandte sich um und erhitzte den Dolch erneut in den Flammen, ehe er auf den Patriarchen zu schritt. Die drei Frauen waren ihm bis zur Feuerstelle gefolgt, wo sie zurückblieben. Bei Rhonkar angekommen, vollführte der Priester auch an ihm den Ritus des Blutschwurs. Der Patriarch blutete aus allen vier Wunden. Seltsamerweise war sich der Geweihte nicht sicher, ob ihn dies beruhigen oder beängstigen sollte. Erneut kehrte er zur Mitte des Platzes zurück, Rhonkar und Thro folgten ihm. Die Brautleute blieben im Abstand von einem Meter voneinander stehen, zwischen ihnen stand der Geweihte.
„Nun, muss das Orakel der Bestien bestimmen, welche Probe ihr bestehen müsst, Rhonkar t’Ncct, um zu zeigen, dass ihr den Geist der ruhmreichen Aqhn bezwungen habt.“
Er sah den Patriarchen nicht an, sondern starrte direkt in die Sonne. Er hob den Dolch und ließ das vermischte braune Blut der beiden durch das gleißende Licht in das prasselnde Feuer tropfen, wo es mit scharfen Zischlauten verdampfte.
„Das Orakel hat die Prüfung bestimmt.“, sagte er schließlich mit seltsam ferner Stimme. Dann setzte er sich in Bewegung und verschwand im nahen Urwald. Es dauerte etliche Mizuras bis er zurückkehrte, doch keiner der Anwesenden rührte sich in der Zwischenzeit oder sprach ein Wort. Schließlich trat der Geweihte wieder aus dem Dschungel heraus und näherte sich dem Paar. Er barg etwas in seinen großen Händen, doch war es für niemanden zu erkennen bis er zwischen die Brautleute getreten war und sein Geheimnis lüftete. Eine einzelne Blüte der Blauen Züglerin ruhte auf seinen Handflächen, der Lieblingsblume Rhonkars vor langer Zeit verstorbener Frau Aqhn.
Unvermittelt musste Tchil niesen, mit angstvoll geweiteten Augen riss sie den Mund auf, das grässliche Röcheln der Atemnot entfuhr ihr und sie klappte kraftlos zusammen. Erschreckt und überrascht von der allergischen Reaktion warf der Priester die Blume weit von sich und beugte sich wie alle anderen über die Ohnmächtige.
Es dauerte nicht lange bis Tchil wieder zu Besinnung kam. Sie gab vor, das hässliche Getuschel, was für eine erbärmlich kränkliche Gefährtin sich der Patriarch erwählt hatte, nicht zu hören. Zufrieden sah sie zu Rhonkar hinauf. Im Tumult um ihre vorgetäuschte Ohnmacht hatte außer ihr niemand die Tränen des Erinnerungsschmerzes in seinen Augen gesehen. Er hatte die Prüfung nicht bestanden, doch keiner hatte die Schwäche des Patriarchen wahrgenommen, die ihn nicht nur die Heirat, sondern auch seine Herrschaft hätte kosten können. Während sie sich wieder aufrichtete, tauschte sie mit ihrem Gemahl verstohlen ein Verschwörerlächeln.
Kapitel 4 - In Schwarzen Flammen
Manchmal ist Borons Wunder so tief,
So unendlich weit, so unendlich enge,
Dass hinab Er das Licht nie rief,
So Seine Liebe mitunter Strenge.
Schön ist’s da, doch auch gefährlich,
Viel verbergend, aber immer ehrlich.
Von der Wundertief Du hast ein Stück,
Trägst sie in Dir als Deinen Geist,
Ihre Quellen Liebe, Freude, Glück,
Doch Acht! Eine davon Wahn heißt.
LAR MENELAUS,
Gedichtband „Träume verflossen“
FAMILIE RYK : HROGS HOCHMUT : 562ZT
Plötzlich erwachte er aus seinen wirren Träumen. Er seufzte erleichtert. Dies war die einzig angenehme Stelle. Zufrieden stellte er fest, dass ihm noch genug Zeit blieb, etwas zu lesen, bevor er in die Versuchsanlage zurückkehren musste. Er brauchte seinen Chronometer nicht zu konsultieren, er wusste, wie spät es war. Niemals würde er diesen Zeitpunkt vergessen. Nachdem er sich entschlossen hatte, zu lesen, verschwand seine Pritsche und das Regal reichte ihm freundlicherweise einen Wälzer über organische Raumnebel. Als er das Buch ergriff, war er auch schon angekleidet. Er erkannte keine Schriftzeichen und nahm keine Information auf. Er las einfach, befand sein Gehirn, und es gab keinen Grund, daran zu zweifeln.
Da begann die Kommunikationskonsole seiner Kabine zu piepen. Er sah zu ihr hinüber und sie wanderte von ihm fort. Nein, der Raum streckte sich und wurde zu einem langen Tunnel, dessen Enden er selbst und die Konsole bildeten. Das Regal verschwand und das Buch, auch alle anderen Einrichtungsgegenstände. Sie hatten nun keine Bedeutung mehr. Das Grauen ergriff ihn. ‚Schon Wieder?’, fragte er sich, eher unangenehm berührt als verwundert darüber, den Moment erneut zu durchleben. Ob es nicht geschähe, wenn er die Konsole ignorierte? Doch der Gedanke hatte keinen Einfluss auf sein Handeln. Er sah sich selbst an das Gerät herantreten und seinen Namen sagen. „Flieh!“, wollte er sich selbst zuschreien, doch er schien sich nicht zu hören.
Da vernahm er die Meldung. Der aufgeregte Laborassistent war kaum zu verstehen, so laut war das Zischen im Hintergrund: „Ein Leck, Herr! Wir versuchen es zu schließen, kommt schnell!“
Energisch schritt er zur Tür und hinaus auf den Korridor. Dieser war in fremdartiges gelbes Licht getaucht, schien sich in die Unendlichkeit zu erstrecken und krümmte sich mit der langsamen Eleganz einer Schlange. Immer noch konnte er sich selbst beobachten. Ohne sich zu bewegen, gelang es ihm mühelos, seinen schnellen Schritt mitzuhalten. „Nicht dorthin!“ Doch wieder vernahm er seine Warnung nicht.
Er hörte das infernalische Brüllen eines grässlichen Untieres. Es kam näher. Schon schlug ihm eine Titanenhand aus Luft entgegen und warf ihn zu Boden. Hätten nicht die Sicherheitsschotts schließen müssen? Er wollte sich aufrappeln, doch seine Lungen schienen in Flammen zu stehen. ‚Das Gas, sogar hier!’ erkannte er in panischem Schrecken. Bei allen Bestien, was war das für ein Leck? Plötzlich wurde er sanft aufgehoben. Die künstliche Schwerkraft war ausgefallen. Neben ihm schwebte ein Laserpointer. Er musste ihm beim Fallen verloren haben. Irritiert registrierte er, dass das Utensil noch gar nicht auf den Boden aufgeschlagen war. Seitdem ihn die Wucht getroffen hatte, konnte noch keine Zehntel Sezura verstrichen sein. Alles lief unglaublich langsam ab. Wie jedes Mal an dieser Stelle, fragte er sich, ob man wirklich so schnell denken konnte, ob er so schnell gedacht hatte.
So oder so, es würde nichts ändern. Es brachte ihm allein den zweifelhaften Vorteil ein, sich noch einmal klar bewusst zu machen, was in wenigen Millisezuras geschehen würde. Und tatsächlich hatte ihn die Feuerwand in Bruchteilen eines Augenzwinkerns überrollt. Jedoch hatte er sie kommen sehen, hatte ihre tödliche Majestät, das Tanzen filigraner Flämmchen auf der massiven lodernden Walze bewundern können. Er hatte sie Länge um Länge näher kommen sehen und spürte, wie sie Millimeter um Millimeter seines Körpers an sich riss, wie sie ihn gänzlich umhüllte und hinabriss in ein Meer aus dunklem Feuer und gleißender Finsternis.
Dann trieb er umher in einer Leere ohne oben und unten, ohne Raum und Zeit. Es war nichts dort außer einem kümmerlichen Rest dessen, was er vormalst ‚ich’ genannt hätte, und schwarzem Schmerz, aus dem die gesamte Welt zu bestehen schien. Eine Ewigkeit nach der nächsten verstrich und er wusste, gleich würde er zu erwachen glauben und den Albtraum noch einmal durchlaufen. War dies die Immerwährende Nacht? War man dort gefangen in einem dämonischen Kreislauf, die einen den eigenen Tod immer wieder sterben ließ? Oder hatten die Bestien des Himmels seinen Geist an einen Dämonenghok verfüttert als Strafe, weil er sich niemals als Krieger Ruhm errungen hatte? Er wusste es nicht.
Plötzlich war da ein Licht, es war rot und blau zur gleichen Zeit. Es bereitete ihm keine Schmerzen und quälte ihn auch nicht in anderer Hinsicht. Im Gegenteil, es begann, das Universum der Pein zu verdrängen. Doch es beunruhigte ihn ungemein. Er war nun schon so oft an dieser Stelle angelangt, doch das Licht war neu. Er wollte vor dem Licht zurück in das vertraute Leiden fliehen, doch er konnte sich in keine Richtung bewegen, denn er befand sich außerhalb jeder Dimension. Das Licht hingegen breitete sich unaufhaltsam aus und begann, mit kalten Fingern nach ihm zu tasten.
Plötzlich erwachte er aus seinen wirren Träumen. Doch diesmal waren da nicht seine Kabine, seine Pritsche, sein Regal und das Buch über Raumnebel. Kleine, vielarmige Kreaturen von ausgesuchter Hässlichkeit beugten sich über ihn. Sie hantierten mit unheimlichen fremdartigen Gerätschaften an ihm herum. Just als eines von ihnen eine spitze Nadel in seinen Körper versenkte, erkannte sein erwachender Geist, um welche Wesen es sich handelte. Aufgepeitscht von Zorn, Angst und Ekel wollte er um sich schlagen und treten. Doch seine Arme und Beine gehorchten ihm nicht mehr. Nein, korrigierte er sich selbst, sie waren nicht mehr da. Dafür war da ein Geräusch. Ein so unsäglich schriller Laut, wie ihn kein Lebewesen wohl auszustoßen vermocht hätte. Und er war laut, er zerriss sein Trommelfell und verschwand doch trotzdem nicht, denn er war sein eigener Schrei.
EDIT: Alle weiteren Kapitel werden nur noch als PDF vorgestellt.
Last edited by Boro Pi on Sun, 19. Oct 08, 15:22, edited 1 time in total.